Peloponnesisches Kaffeetagebuch: Das Heraion von Argos

Den nächsten Ort fand ich durch Zufall. Oder fand der Ort etwa mich? Auf dem Weg von Tiryns nach Mykene fiel mir ein Wegweiser am Wegesrand auf: „Argive Heraion“. Das hatte ich zwar nicht auf dem Schirm, aber ein Besuch bei Hera ist mir immer einen Abstecher wert. Die Straße führt nach oben, die Aussicht wird von Kurve zu Kurve beeindruckender. Ja, die antiken griechischen Baumeister hatten ein Händchen für tolle Naturkulissen. Noch zwei Kurven und ich bin da. Und allein. Das Heraion von Argos habe ich ganz für mich allein.

Im Dreieck zwischen Argos, Midea und Mykene liegt das Heraion von Argos, zu seiner Zeit eines der wichtigsten Hera-Heiligtümer im antiken Griechenland. Hera, der diese Anlage geweiht war, war auch die Schutzheilige der Stadt Argos, die in diesem Teil des Peloponnes eine Vormachtstellung anstrebte. So schlossen die Herren von Argos schon früh Bündnisse mit ihren Nachbarn, die dem Schutz des Heraion als kulturelles Zentrum der Stadt dienten.

Mit dem Heiligtum verbunden ist die Geschichte der beiden Brüder Kleobis und Biton, die sich wie Ochsen vor den Wagen ihrer Mutter spannten, um sie rechtzeitig zum Hera-Fest zu bringen, worauf sie nach getaner Arbeit einschliefen und nicht mehr aufwachten, weil ein Tod am Zenit des Lebens der größte Lohn für den Menschen sei. Das Heiligtum geht auf das 8. Jahrhundert v. Chr. zurück. Wichtigster Kultbau ist der Tempel der Hera.

Vom ältesten Tempel ist praktisch nichts mehr erhalten, doch weiß man, dass er einer der ersten Tempel mit einem Peristyl war. Er wurde 423 v. Chr. durch Feuer zerstört. Der neue Tempel wurde ca. 420–410 v. Chr. etwas unterhalb des alten vom Architekten Eupolemos erbaut. Er hatte ein Peristyl von 12 × 6 dorischen Säulen, in der Cella stand eine Statue der Hera aus Gold und Elfenbein, geschaffen von Polyklet, der Boden wies eine Kurvatur auf. Die meisten übrigen Gebäude stammen aus dem 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr.

Prägend für die Anlage des Heraion ist die terrassenähnliche Gestaltung. Die unterschiedlich hohen Niveaus der Anlage werden durch übergroße Felsbrocken in Gestalt von Mauern gestützt. Das so abgesicherte Plateau mit einer dorischen Säulenhalle und die Treppe entstanden wohl im 5. Jhd. v. Chr., wie auch die meisten anderen Bauten. In der Mitte des ersten Plateaus wurde der neue Tempel der Göttin Hera erbaut.

Die Terrassen und die Grundmauern der Tempel sind heute noch zu sehen. Auch die eine oder andere Säule steht noch rum. Ansonsten ist man schon sehr auf sein Vorstellungsvermögen angewiesen. Was muss das dereinst für eine beeindruckende Tempelanlage gewesen sein, die durch ihren terrassenförmigen Aufbau unterhalb des Gipfels Akraia, des höchsten Berges der Bergkette Euboia, auf den Betrachter noch wuchtiger gewirkt haben muss.

Die Lage des Heraions war lange Zeit unbekannt. Erst 1831 entdeckte der britische Offizier und Philhellene Thomas Gordon bei einem Jagdausflug die kyklopische Mauer der oberen Tempelterrasse. Mehrere Archäologen, darunter auch Heinrich Schliemann, führten einige Grabungen aus, legten aber nur einen Tempel frei. Da Pausanias in seinen Schriften nur einen Tempel erwähnt hatte und keine bedeutenden Nebengebäude, ging man davon aus bereits das gesamte Heiligtum freigelegt zu haben.

Erst mit umfangreicheren Grabungen 1892 bis 1895 durch die American School of Classical Studies at Athens mit Unterstützung des Archaeological Institute of America wurde das wahre Ausmaß der Anlage sichtbar. Das Heraion blühte bis in römische Zeit. Zwei Bauten aus dieser Zeit befinden sich im Westen des Heiligtums. Der südlichere in Form eines Γ ist ein Gymnasion und der nördliche ein Bad. Die Stätte wurde von den Argivern als verehrte Ruine bis zur Zeit Pausanias’ gepflegt. Das Heraion von Argos war für den für den gesamten griechischen Raum – das sogenannte Panhellenion – von großer Bedeutung.

Die Berechnung der örtlichen Chronologie beruht auf der chronologischen Priesterinnenliste des Heraion. Die Göttin muss im Heraion mit einem Mysterienkult verehrt worden sein, der heute weitestgehend unbekannt ist. Heras Charakter ist hier mit der mykenischen Naturgöttin, die ihre Gaben im Überfluss spendet und das Land segnet, verbunden. Vermutlich nahm sie so die Stelle einer viel älteren weiblichen Gottheit, die einst über die Ebene geherrscht hatte und deren Namen heute unbekannt ist, ein.

Ich sauge den mythischen und mystischen Charakter dieses Ortes in mich auf. An kaum einen anderen Ort kann man sich dem ewig weiblich-göttlichen so nahe fühlen, wie hier. Zumal wenn man die ganze Anlage für sich alleine hat. Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick über die Ebene schweifen, dort, wo weitere Königreiche im Dunst der Geschichte liegen. Dann geht es weiter. Nächstes Ziel: Mykene!

Quellen: Wikipedia, argolisculture.gr, antike-orte.de.

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