Peloponnesisches Kaffeetagebuch: Tiryns

Auf halben Weg von Nafplio nach Argos erhebt auf einem 30 Meter hohen und 300 Meter langen Felsrücken die Festung Tiryns wie ein Wellenbrecher. Als mythischer Gründer der Stadt gilt Prinz Proitos aus Argos, der nach dem Zweikampf mit seinem Bruder Akrisios nach Lykia flüchtete. Bei seiner Rückkehr brachte er dann die Zyklopen mit, die für ihn als Gefälligkeit die beeindruckenden Mauern bauten.

Heute weiß man, wie diese Sage wahrscheinlich entstanden ist. Zum einen trauten die Helenen der Antike ihren Vorfahren den Umgang mit den gewaltigen Steinquadern und deren beinahe fugenlosen Zusammenbau nicht zu, so dass diese Bauwerke mythischen Figuren zugeschrieben wurden. Für die Festungen von Tiryns und Mykene wurde der Begriff Zyklopenmauer geprägt. Zum anderen erklärte man sich so die Funde von prähistorischen Elefantenschädeln. Mythenforscher nehmen an, dass die große Nasenöffnung des Schädels fälschlicherweise als eine einzelne große Augenhöhle interpretiert wurde.

Steht man vor diesem gewaltigen Mauerwerk und versetzt sich dabei noch in die Gedankenwelt der antiken Griechen, dann muss einem Tiryns als geradezu überirdisch erscheinen. Proitos war der Bruder des Akrisios, dessen Enkel Perseus während seiner Herrschaft in Tiryns Mykene gegründet haben soll. Zwei Generationen später diente Herakles zwölf Jahre lang dem König Eurystheus, Enkel des Perseus, um sich von der Tötung seiner eigenen Kinder zu entsühnen. In dieser Zeit vollbrachte er seine berühmten zwölf Arbeiten. Auch ein Teil der Sage um den Helden Bellerophon ist in Tiryns angesiedelt.

Vermutlich wurde der Ort schon in der Jungsteinzeit besiedelt. Damals lag der Felsrücken nur etwa 300 Meter vom Meer entfernt. Die heutige Küstenlinie verläuft knapp einen Kilometer weiter westlich. Vom 3. Jahrtausend v. Chr. an gehörte Tiryns zu den wichtigsten Zentren des bronzezeitlichen Europas.  Im Verlauf der Spätbronzezeit wird der Hügel sukzessive befestigt und innerhalb seiner Zyklopenmauern befindet sich ein Palastkomplex und auch andere Gebäude, die hauptsächlich als Werkstätten genutzt wurden, aber auch Wohnhäuser.

In der mykenischen Periode zählte Tiryns wie Mykene, Theben, Pylos und Knossós zu den wichtigsten Zentren der kretisch-mykenischen Kultur. Damals gab es auch eine ausgedehnte Unterstadt, die den Siedlungshügel umgab. Vom ehemaligen Glanz der Stadt zeugen die sehr gut erhaltene Ruine einer königlichen Residenz auf der Oberburg, womöglich dem Palast von Knossos nachempfunden, deren Wände mit kostbaren Fresken verziert waren, und die Überbleibsel der Befestigungsmauern. Die Steine der Mauer waren bis zu drei Meter lang und einen Meter dick und ohne Mörtel aneinandergefügt.

Die mächtige mykenische Befestigungsmauer war in der Antike und auch bis zu den ersten Grabungen im 19. Jahrhundert immer sichtbar. Daher war eine Identifizierung des Orts mit Tiryns nie strittig, weshalb viele Reisende und Archäologen dem Ort Beachtung schenkten. So wurde Tiryns im 2. Jahrhundert n. Chr. von Pausanias besucht, den die Wehrmauern so beeindruckten, dass er sie in seinem Werk „Beschreibung Griechenlands“ mit den Pyramiden des Alten Ägyptens verglich. Der deutschen Archäologe Heinrich Schliemann führte zwischen 1876 und 1885 die ersten systematischen Ausgrabungen durch. Dabei konnte er auf dem höchsten Teil des Felsens die sogenannte Oberburg, einen mykenischen Palast, freilegen. 

Durch ein dreieckiges, schmales Tor betrete ich die Festung. Gleich geht es eine Treppe hinauf in die Oberburg. Von hier oben schweift mein Blick über die Ebene von Nafplio bis Argos. Dabei fällt mir auf, das mythische Königreiche nicht unbedingt groß sein müssen. Nauplia, Argos, Tiryns, Midea und Mykene befanden sich alle auf einer Fläche, die in etwa der Größe Münchens entspricht und ich frage mich, wie diese relativ kleinen Gebiete die Kosten für ihre Kriege erwirtschaften konnten.

Der Ausblick von hier oben ist sehenswert, die wahren Ausmaße der Festung erkennt man aber erst, wenn man an ihr entlang geht. Kein Wunder, dass die Menschen durch alle Zeiten hindurch von diesem Bauwerk beindruckt wurden und werden. Wo sonst sollten Sagen und Mythen ihren Ursprung haben, wenn nicht hier? Ich lasse mich von dem historischen Zauber, den diese Festung verströmt anstecken und tauche ganz in diese antike Welt ein. Daraus auftauchen werde ich im Laufe des Abends, doch davor gibt es noch einiges zu entdecken.

Quellen: Wikipedia, argolisculture.gr, antike-orte.de.

2 Gedanken zu “Peloponnesisches Kaffeetagebuch: Tiryns

Hinterlasse eine Antwort zu coffeenewstom Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..