Samiotisches Kaffeetagebuch II: Ende Legende

Es zeichnete sich schon ab: meine Mission wird nicht erfüllt werden können. Vor über 30 Jahren habe ich in Kambos auf Patmos das vielleicht beste Stifado Griechenlands gegessen. So zumindest war die vollmundige Ankündigung eines Münchner Reisejournalisten. Als Überbringer der Nachricht, dass es den Reiseführer mit besagtem Eintrag tatsächlich gibt wurde ich damals zu dieser Speise eingeladen. Und sie war wahrhaft himmlisch!

Vor zwei Jahren war ich wieder auf Patmos zu Besuch. Aus dem Stifado wurde allerdings nichts, da das Marinieren mindestens 24 Stunden braucht und ich am nächsten Tag wieder abreisen musste. Ich kündigte aber meinen Besuch in zwei Jahren an und versprach mich vorab zu melden. Leider musste ich feststellen, dass die Taverne nur wenige Wochen vor meiner erneuten und nunmehr dritten Ankunft auf der Insel für immer schließen würde. Meine Emails blieben unbeantwortet, beim Telefon hob niemand mehr ab. Ich aber hatte ein Versprechen gegeben. Also schickte ich sicherheitshalber noch einen Brief und machte mich selbst auf den Weg.

Patmos ist eine kleine Insel, auf der jeder jeden kennt. Also war es kein Problem die Hintergründe in Erfahrung zu bringen. Panagos hatte ursprünglich die Taverne seines Vaters in Agriolivado auf Patmos von seinem Vater übernommen, hatte später aber seine eigene Taverne in Kambos eröffnet und zu einem der besten Restaurants auf der Insel gemacht. Den größten Teil der Geschichte erfuhr ich von meinem Rollervermieter, den ich am Nachmittag in seinem Laden antraf und der sich auch an mich und meinen Besuch 2022 erinnerte. Die familiären Hintergründe, die zur Schließung des Lokals führten, von unserer Zimmervermieterin, einer Nichte von Panagos. Wie gesagt, Patmos ist eine kleine Insel…

Vieles von dem, was ich erfahren habe, stufe ich als nicht für die große Öffentlichkeit bestimmt ein. Weshalb ich mich hier über Details ausschweige. So viel sei allerdings verraten: es handelt sich um ein typisch griechisches Problem, was man allenthalben antrifft. Mit dem wachsenden Tourismus haben viele Griechen gutes Geld verdient, mit Hotels, Tavernen oder anderweitig. Mit diesem Geld konnten sie ihren Kindern eine gute Ausbildung finanzieren – nicht selbstverständlich zu dieser Zeit.

Nun haben die Kinder natürlich gesehen wie anstrengend dieser Job mitunter sein kann. Viele haben inzwischen gute Jobs in großen Städten oder sogar in Athen. Die Hotels und Tavernen, einst das finanzielle Rückgrat der Familie, möchte dann aber niemand mehr betreiben. Das habe ich nicht nur hier auf Patmos beobachtet, diese Geschichte wiederholt sich hundertfach auf Samos, Kreta oder anderen Destinationen.

So wurde nichts aus meinem Stifado. Allerdings konnte ich meinem alten Freund Panagos noch einmal die Hand schütteln. Die Trauer über den Verlust seiner Taverne war ihm deutlich anzumerken. Vielleicht freute er sich ja doch über meinen Besuch. Oder er riss eine unverheilte Wunde wieder auf. Ich weiß es nicht. Ich jedenfalls habe meinen Teil erfüllt. Dass er seinen Teil nicht mehr dazu beitragen konnte, ist nicht seine Schuld.

Also behalte ich die Taverna Panagos in guter Erinnerung. Und ich habe eine tolle Geschichte zu erzählen, auch wenn das Ende eher einer griechischen Tragödie würdig wäre. Aber so ist das Leben und ganz besonders das Leben in Griechenland. Die Legende vom besten Stifado Griechenlands ist damit aber zu ende.

Taverna Panagos, Kampos, Patmos, Dodekanes, Griechenland; leider dauerhaft geschlossen.

6 Gedanken zu “Samiotisches Kaffeetagebuch II: Ende Legende

  1. Diese Entwicklung ist für die betroffene Generation ja eher positiv, nicht aber für die restliche Familie. Ich vermute, dass es dieses Thema im ländlichen Milieu überall in Europa gibt. Ich denke dabei zB an die Bauern, die keine Nachfolge finden …

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  2. Werden nach den Restaurants die Köche, nach diesen die Rezepte sterben und in Zukunft nur noch industriell gefertigtes Fertigfutter gegessen werden?
    Besorgt, und nicht nur in dieser Hinsicht, in die nähere und sowieso fernere Zukunft blickend…

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