Kretisches Kaffeetagebuch: die Geister von Frangokastello

„Inseln sind in besonderen Masse Stätten, an denen mythisches Geheimnis und legendäres Geschehen miteinander verwoben sind. Von keinem anderen Teil Kretas kann man dies so sehr sagen, wie gerade von der Sfakia. Mit dem Aussprechen der Worte „Sfakiote“, „Sfakia“ werden bei denen, die Kreta kennen, ganz bestimmte Vorstellungen heraufbeschworen, von einem Schlag fast übermenschlich starker Bergbewohner, von unerschütterlichen Freiheitskämpfern, aber auch von plündernden Banditen, von Jägern, die, über schwindelnde Schluchten sich schwingend, Wildziegen jagen oder ihre Feinde niederringen. (…)

Die Gegend ist die wildeste, ihr Volk das stolzeste und unerschrockenste, das seine Freiheit am heftigsten verteidigende, aber auch das gesetzloseste; selbst Fauna und Flora sind einzigartig und nirgendwo sonst anzutreffen.“

So beschreibt John Bowman im seinen Kreta-Reiseführer von 1962 die Sfakia, die „Eparchia Sfakion“, das Gebiet um die Weißen Berge, die höchste Erhebung Westkretas. Hier bahnt sich auch die berühmte Samaria-Schlucht ihren Weg von den Bergen bis ans Meer, eine der längsten Schluchten in Europa und ein Programmpunkt, den wir auslassen, weil er uns einen ganzen Tag, Blut, Schweiß und Tränen kosten würde.

Stattdessen besuchen wir lieber Frangokastello, eine Festung aus dem 14. Jahrhundert in isolierter Lage in einer kleinen Ebene an der Küste. Die gut erhaltene rechteckige Anlage mit vier Ecktürmen wurde aus den Steinen antiker Gebäude errichtet. Ein in Stein gehauener Markuslöwe wacht über das Tor und zeigt, wer hier damals das Sagen hatte.

Und wieder Bowman: „Der ebene Platz vor der Burg soll den Kretern als Tanzplatz gedient haben. Hier tanzten sie den Pyrrichios, der unter den Griechen aus Kleinasien (Pontus) heute noch als Serra-Tanz bekannt ist, einen Kriegstanz, den, wie der Mythos erzählt, Rhea die Kureten lehrte, um tanzend und waffenklirrend den Zeusknaben zu schützen. Heute behaupten die Einheimischen, dass hier an der Stelle des Kampfes und der Kriegstänze, die Seelen der vielen hundert bei der Verteidigung der Festung gegen die Türken 1828 Gefallenen umgehen. Diese von ihnen „Tauauflöser“ genannte Geister erscheinen im frühen Mai zu Beginn der Dämmerung.“

Als wir in Frangokastello eintreffen ist die Dämmerung schon längst vergangen. Im Gegenteil: es ist bereits hoher Mittag und von Geistern keine Spur. Vermutlich außerhalb der Geschäftszeiten. Oder es liegt am Tzatziki mit reichlich Knoblauch gestern Abend, der die Geister vertreibt. Die innen völlig entkernte Burg wird gerade renoviert, also kein Eintritt. Statt dessen ein kleiner Spaziergang am Meer. Zur Hauptsaison dürfte hier deutlich mehr los sein. Eine entsprechend große Verköstigungsstation liegt direkt hinter der geheimnisvollen Festung und hat noch geschlossen. Auch die Stranbar und die Taverna Panomrama sind noch im Winterschlaf, genau wie das Coffee and more.

Ausgerechnet jetzt, wo ein Kaffee doch wirklich angesagt wäre. Aber anders gesehen vielleicht ein Glück, denn sonst hätten wir kaum unseren Weg in die Taverna Orthi Ammos gefunden. Dort freute man uns sehr über unser erscheinen. Es gab zwar noch nicht alles von der Karte, was es aber gab überzeugte uns zum Bleiben.

Doch – first things first – gab es einen Frappé mit Blick aufs Meer und einem traumhaften Strand mit heute allerdings einer eher überschaubaren Zahl an Badegästen, nämlich 3 (in Worten: drei). Ein schöner Ort, an dem sich bestimmt vortrefflich ganze Tage verbringen lassen.

Doch nun zu unserem „kleinen“ Imbiss. Fangen wir an mit Stamnagathi, einem gekochten Wildkräutersalat. Stamnagathi ist eine Zichorienart, die ursprünglich nur an Berghängen und wenig zugänglichen Orten in bergigen Regionen wächst. Auf deutsch heißt die Pflanze „stachelige Wegwarte“ (Cichorium spinosum). Die Blüte ist etwas dunkler als die er gemeinen Wegwarte, die man hier überall findet und sie hat lange Stacheln!

Dazu gönnten wir uns ein leckeres Huhn in Zitronensauce – Lemonato – mit ein paar Kartöffelchen aus dem Ofen. Ein einfaches aber sehr leckeres Gericht.

Und schließlich Gemista, in diesem Fall mit Reis und Gemüse gefüllte Tomaten mit etwas Tzatziki und ein paar handgeschnitzten Pommes.

Streng genommen sind wir von unserer Strategie – immer ein Gericht mehr als Esser – abgewichen, aber für uns war diesmal eine Vorspeise und zwei Hauptgerichte genau richtig. Und so gestärkt konnten wir uns weiter auf unseren Weg Richtung Nordosten machen.

Taverna Orthi Ammos, Frangokastello, Kreta, Griechenland. Quellen: John Bowman, Kreta – ein Reise- und Kunstführer, Radio Kreta.

9 Gedanken zu “Kretisches Kaffeetagebuch: die Geister von Frangokastello

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