Kretisches Kaffeetagebuch: von Sagen, Schluchten und zerschossenen Schildern

Ein strahlender Tag bricht an über Agia Galini. Die Sonnen wandert langsam über die Dächer des noch stillen Dorfes, dass oberhalb des Hafens in den steilen Hang hineingebaut wurde. Vor dem Hafen erstreckt sich das Meer in allen Schattierungen von Blau, von Türkis über Aquamarin bis Azur. Im Dunst des Horizontes liegt wie eine ferne Insel die Küstenlinie von Festos. Langsam erwacht die kleine Hafenstadt zum Leben. Ein Hafenort wie gemalt: Bunte Fischerboote dümpeln im klaren, türkisfarbenen Wasser, dahinter, durchwebt von Palmen, Weinranken und Bougainvilleen, ziehen sich weiße kubische Häuser einen rötlich-braunen Hang hinauf. Kaum zu glauben, dass hier zur Hochsaison eines der größten und beliebtesten Ferienzentren ist und dann die mit Blumen geschmückten Treppengassen voll sind von Touristen. So früh in der Saison merken wir davon noch nichts.

Auch den Freunden griechischer Sagen ist Agia Galini gut bekannt, sollen doch vom Felsen oberhalb der Stadt einst der Baumeister und Erfinder des Zirkels Daidalos und sein Sohn Ikaros mit aus Wachs und Vogelfedern gebauten Flügeln gestartet sein um der Tyrannei des Königs Minos zu entgehen, der sie über viele Jahre hinweg gefangen hielt. Der Junge flog, den Warnungen seines Vaters zum Trotz, zu hoch und seine Flügel schmolzen. Er stürzte ab und ertrank im Meer, dass nach ihm Ikarisches Meer benannt wurde. Der trauernde Vater hingegen landete sicher auf einer Insel und nannte sie Ikaria. Daidalos Flucht ging weiter bis Sizilien, wo er beim legendären König der Sikanen Kokalos. Zum Dank für dessen Schutz vor Minos erbaute er ihm die Festung Kamikos und andere imposante Gebäude, wie einen Tempel für Apollo in Agrigent, der heute noch steht.

Wir widmen uns da lieber dem ausnehmend guten Frühstück im Hotel Erofili und genießen den Blick über Hafen und Meer. Dann jagt mir Kostas einen gehörigen Schrecken ein. Der kleine Kerl hat sich nämlich unter der Bettdecke versteckt. Anscheinend war er vom Hippie-Feeling so angetan, dass er noch einige Zeit im bunten Hotel bleiben wollte. Das ging nun leider nicht aber nach dem Frühstück mit Blick aufs Meer durfte er sich noch für den Rest des Tages als Blumenkind fühlen. Nun können wir uns auf den Weg machen zur nach Kilometern längsten Etappe dieser Reise.

Dabei machen wir halt an der Schlucht von Kotsifou, dem landschaftlichen Höhepunkt des Tages. Die Schlucht bildet bei Nordwind eine lokale Wetterscheide. Südlich zum Meer hin wird der Wind durch Fallwinde und Düseneffekt verstärkt, nördlich der Schlucht ist es zur gleichen Zeit im Windstau der Berge oft fast windstill. Auch die Regenmenge und -häufigkeit ist sehr unterschiedlich.

In der Nacht zum 13. März 2024 ging nahe des nördlichen Schluchteingangs ein massiver Felssturz nieder. Knappe 4 Wochen nachdem monatelange Sicherungsarbeiten beendet worden waren, die den westlichen Abhang der Schlucht mit Stahlnetzen sicher sollten, brach ein großes, keilförmiges Stück der Felswand los, riss die Sicherungsnetze mit sich und zerstörte die darunterliegende Straße samt ihres Unterbaus. Eine Expertenkommission soll klären, ob und wie die Straße wieder sicher befahrbar gemacht werden kann. Gott sei Dank kommen wir ohne Felssturz durch!

Und dann bemerken wir ein anderes Phänomen: die Straßenschilder an der sehr neuen Straße waren bereits alle wieder von Einschusslöchern durchsiebt und zwar nicht wie die restlichen des Landes mit kleinen Kalibern und Schrot sondern von richtig massiven Geschossen, die etliche Zentimeter durchmessende Spuren hinterlassen haben. Besonders beliebt als Zielscheibe Ortsschilder – vermutlich die des jeweiligen Nachbarortes – und das Schild für Wildwechsel. Wir mutmaßten, dass es sich um ein komplexes Spiel mit festen Regeln handelt, die wir aber nicht ergründen konnten. Außerdem wird wohl aus dem fahrenden Auto geschossen. Wir haben keine Waffen dabei und können folglich auch nicht am Wettbewerb teilnehmen und ziehen deshalb ohne Punkte erzielt zu haben weiter.

Auf der Webseite von Radio Kreta finde ich später eine Erklärung, beziehungsweise gleich mehrere. Zum einen äußert der geneigte und im Normalfall bewaffnete Kreter so seinen Unmut über Ortsschilder in griechischer und lateinischer Schrift, wobei letzteres der Stein des Anstoßes zu sein scheint. Außerdem gilt der Rivalität der Dörfer untereinander als hinlängliche Begründung. Außerdem kleine Nachbarschaftsstreitereien ohne Verletzte – außer dem Ortsschild. Eine weitere Theorie ist ein allgemeiner Unmut gegen die Obrigkeit in Athen. Sollen die bestimmen dürfen wo unser Dorf anfängt oder aufhört? Nein? Auch Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten als unerwünschte Einmischung der Zentralregierung auf dem Festland. Und dann dürften noch ein paar Kreter aus jugendlichem Übermut auf Schilder schießen. Grundsatz: besser auf Schilder, als auf Menschen!

Quellen: Wikipedia, Globetrottel.net, griechenland-auskunft.de, radia-kreta.de, ADAC Reiseführer Kreta. Bild 7 Bildrechte: Martin Völkel/globetrottel.net.

6 Gedanken zu “Kretisches Kaffeetagebuch: von Sagen, Schluchten und zerschossenen Schildern

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