Kretisches Kaffeetagebuch: Polyrrhenia

Vielleicht war es ja ganz gut, dass wir den Hafen verpasst haben, denn so hatten wir mehr Zeit für unser nächstes Ziel: Polyrrhenia, neugriechisch Polyrinia. An kein einem anderen Ort sind die Schichten der Geschichte so offensichtlich über- und nebeneinander und miteinander verschmolzen. Man könnte Pollyrinia, was soviel wie „viele Schafe“ bedeutet, für ein mehr oder weniger unbedeutendes Bergdorf halten, was sich unterhalb zweier Gipfel in den Hang schmiegt. Im April 2016 lebten hier gerade noch zwölf Familien mit insgesamt 30 Personen.

Antiker Wehrturm

Das war früher anders. Zur Zeit der Dorer war das wichtigste Machtzentrum im kretischen Westen. Nach dem griechischen Geschichtsschreiber Strabon, der um die Zeit von Christi Geburt gelebt und gewirkt hat, lagen hier ursprünglich vereinzelte kleine Dörfer, die dann von archaischen und lakonischen Siedlern zu einer Polis, zu einem Stadtstaat vereinigt wurden. Die ältesten Siedlungsfunde stammen aber schon aus geometrischer Zeit, also von 900 bis 700 v. Chr.

Mit den beiden Häfen Cisamos und Phalasarna war die Stadt bestens versorgt. Während Cisamos, das heutige Kissamos, gerade einmal 100 Einwohner zählte, war der befestigte Kriegshafen von Phalasarna von größerer Bedeutung. Von hier schwärmte die Flotte Polyrrhenias regelmäßig zu ihren Raubzügen aus. Piraterie war ein damals nicht nur üblicher, sondern auch recht einträglicher Broterwerb.

Allerlei Überreste aus der Geschichte

Mit den anderen Machtzentren der Insel – wie Knossos, Phaistos oder Zagros – verstand man sich vielleicht auch deshalb nicht so gut. So schlug man sich als eine Invasion drohte auch auf die Seite der Römer. Das gereichte Polyrrhenia zum Vorteil, wurde die Stadt doch von den Römern verschont. Außerdem errichteten die Besatzer verschiedene Bauwerke, darunter einen Tempel, mehrere öffentliche Gebäude und ein Aquädukt, die von Kaiser Hadrian in Auftrag gegeben wurden.

Um das Jahr 100 n. Chr. verfiel die Stadt aber dennoch in einen Dornröschenschlaf. Es wurden keine eigenen Münzen mehr geprägt und die Siedlung schließlich aufgegeben. Bis die Venezianer die strategische Bedeutung des Ortes erkannten und auf dem höheren der beiden Hügel eine Festung errichteten, von der die Außenmauern noch zu sehen sind. Mit der Garnison und der wiederbelebten Stadt sollen zu dieser Zeit, je nach Quelle, 10.000 bis 30.000 Menschen hier gelebt haben.

Vermutlich venezianischer Rundbogen

Mit dem Rückzug Venedigs fiel Polyrrhenia abermals in Bedeutungslosigkeit. Zurück blieben die Überreste aller Epochen der fast 2.500 Jahre andauernden Besiedelung. So liegen die Ruinen antiker griechischer Häuser, römischer Gebäude und venezianischer Befestigung einträchtig nebeneinander und verstreut auch einer Fläche von etwa 30 Hektar, denn so groß war die Stadt zu ihren Blütezeiten nachweislich.

Antike Bögen

Im heutigen Polyrinia findet sich allerlei Verbautes, was aus früheren Zeiten stammt. Zum Beispiel der antike Wehrturm am Dorfeingang, römische Rundbögen mitten im Dorf, sowie das eine oder andere Gebäudefragment aus venezianischer Zeit. Ein Renaissance-Rundbogen hier, ein antikes Säulchen da, der ganze Ort ist ein Konglomerat der Epochen.

Blick nach Westen

Bestes Beispiel ist die Kirche der 99 Heiligen auf der antiken Akropolis über dem Dorf. Die Steine für den Kirchenbau stammen aus der brachliegenden Stadt. Viele der Steine tragen Inschriften, die ihr Alter verraten. Die älteste gefundene Inschrift wird auf das Jahr 272 v. Chr. datiert und berichtet, dass der spartanische König Areus I. eine Statue in einem Tempel stiftete. Eine weitere Inschrift datiert in das Jahr 189 v. Chr. und berichtet von einer Ehrung zugunsten von Gnaeus Cornelius Scipio Hispallus, offensichtlich ein Römer.

Kirche der 99 Heiligen

Der Weg vom Dorf zur Akropolis hinauf ist steil aber lohnend, wird man doch mit einem Blick weit über das Land bis nach Chania und das Meer belohnt. Weit verstreut liegen die Überreste einer antiken Metropole, deren Umfang und Größe sich nur von hier aus erahnen lässt. Den weiteren Aufstieg zu den Ruinen des venezianischen Kastells schenken wir uns aber ebenso, wie eine kleine Wanderung zu dem von Kaiser Hadrian in Auftrag gegebenen Aquädukt.

Blick zur venezianischen Festungsruine

Das einzige Kafenion im Ort und die Taverna mit dem passenden Namen Akropolis haben leider noch geschlossen. So schlendern wir lieber durch die Jahrhunderte zurück zu unserem Auto und machen uns auf den Weg nach Kissamos, wo wir eine zweite Nacht verbringen werden. Aber nicht ohne ein leckeres Abendessen. Es wird also noch einmal kulinarisch morgen.

Quellen: Wikipedia, Kokkinos Vrachos auf tripadvisor.de.

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