Kretisches Kaffeetagebuch: die verlassene venezianische Siedlung Voila

Kaffeegestärkt machen wir uns weiter auf unsere Fahrt durch das östliche Lassithi-Gebirge, einem der weniger bewohnten Landstriche Kretas. Dass das nicht immer so war beweist das verlassene Mittelalterdorf Voila. Die ehemalige Festung Voila liegt einen Kilometer vom Dorf Chandras entfernt, auf dem wunderschönen Armenochantrades-Plateau von Ziros im Schatten der modernen Windrädern.

Man erreicht die kleine Siedlung über eine Schotterstraße, womöglich verlief hier früher die alten Landstraße. Offenbar wurden Teile der Siedlung beim Bau der neuen Straße unwiederbringlich zerstört. Sie nimmt die nördliche und westliche Seite eines steilen Hügels auf der östlichen Seite der Hochebene ein, auf der die Dörfer Ziros, Armeni und Chandras liegen.

Die Ursprünge von Voila dürften im ausgehenden Mittelalter liegen. Danach war Voila der Sitz der venezianischen Adelsfamilie Salomon. Während dieser Zeit betrachtete Venedig Kreta als seine Kolonie und installierte ein klassisches Feudalsystem und die Salomons gehörten zu diesen neuen Herren. Während ihrer Herrschaft vergrößerten sie die Dorfkirche Agios Georgios, die seit dem 15. Jahrhundert das Familienwappen der Salomons trägt und später auch deren Familiengruft beherbergte. Aus dieser Zeit stammen auch die Grundmauern des Turms von Genna, dem zentralen Wohn- und Wehrturm der kleinen Festung.

In den Jahren 1645 bis 1669 eroberte das Osmanische Reich Kreta. Eine Inschrift verrät, dass zwischen 1740 und 1741 der Wehrturm, der nun den Namen Tsin-Ali-Turm – nach seinem Erbauer – trägt, zu seiner heutigen Form erweitert wurde. Tsin Ali war der damals bekannteste Janitscharen-Kommandant, dessen Bataillon hier sein Hauptquartier hatte. Die Janitscharen waren im Osmanischen Reich die Elitetruppe der Armee. Sie stellten die Leibwache des Sultans und erreichten höchste Positionen im osmanischen Staatswesen.

1828 machten sich kretische Rebellen gegen Voila auf, nachdem sie das nahegelegene Mittelalterdorf Etia erobert hatten, doch da hatten es die Türken bereits evakuiert. Ab dem späten 19. Jahrhundert verfiel die Siedlung allmählich und wurde folglich verlassen. Heute befindet sie sich in einem Zustand des Verfalls. Die meisten der erhaltenen Gebäude stammen aus der Türkenzeit. Die Ruinen der noch erhaltenen venezianischen Residenzen zeichnen sich jedoch durch eine bemerkenswerte Architektur aus, die auf den Wohlstand und die Entwicklung der Siedlung in früheren Zeiten schließen lässt.

Am Dorfeingang befindet sich eine von Türken eingefasste Quelle, zumindest legen das die Ornamente nahe. Der gesicherte Zugang zu frischem Wasser dürfte zur Standortwahl beigetragen haben. Der steile Hang bildet im Südosten eine natürliche Befestigung, während die Gebäude an der Nord- und Westseite, die das Tal überblickt, geschlossene, festungsartige Fassaden aufweisen.

Eine niedrige, teilweise erhaltene Mauer umschließt den verbleibenden Raum zum Tal hin. Das Dorf erstreckte sich früher über die heutige Hauptstraße hinaus, deren Bau den Abriss mehrerer Gebäude erforderte. Gewölbebauten, Lagerräume und Ställe sind in der unteren Außenzone zu sehen, während die Wohnhäuser in den Hang gebaut wurden.

Die Festung besteht hauptsächlich aus einem hohen Turm, der frühere Turm von Genna, der in relativ gutem Zustand ist und restauriert werden könnte. Neben dem Turm befindet sich die kleine zerstörte Kirche von Tzinalis. Die etwas abseits gelegene Kirche Agios Georgios besteht aus zwei aneinandergebauten Teilen und besitzt in ihrem Inneren ein Fresko der Jungfrau Maria. Auch wenn das Dorf schon seit über 100 Jahren verlassen ist, sind einige der Gebäude noch recht gut erhalten.

Auch diese historische Stätte haben wir praktisch für uns allein. Etwas mulmig wird einem schon, wenn man in den Wehrturm einsteigt oder durch eines der Tonnengewölbe läuft. Da das alles schon seit Jahrhunderten steht, wird es nicht ausgerechnet heute einstürzen. Tat es auch nicht. Von den meisten Häusern hingegen stehen nur Mauern, während eines besonders gut erhalten ist und einen Kamin und eine Art Balustrade beinhaltet. Gut vorstellbar, dass hier vor 200 Jahren noch Menschen lebten.

Nur die etwas oberhalb liegende Kirche Agios Georgios ist vollständig und wird auch in Schuss gehalten. Die Geister der Salomons werden es danken. Ein beeindruckender Ort mit einer spannenden Geschichte. Und ein Haken auf dem Reiseplan, der sich richtig gelohnt hat.

Quellen: Wikipedia, boarding-time.de, meetcrete.com, cretanbeaches.com, destinationcrete.gr.

7 Gedanken zu “Kretisches Kaffeetagebuch: die verlassene venezianische Siedlung Voila

  1. Mir gefällt der Gedanke, dass es noch geschichtliche Orte gibt, die man für sich alleine haben kann. Nicht kommerzialisiert, ohne Absperrungen und Tickethäuschen. Auf diese Weise zu entdecken macht die Vergangenheit in besonderem Maße spürbar, da nichts Gegenwärtiges den Geist ablenkt.

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