Über Nebenstraße – teilweise bessere Feldwege – durchqueren wir das östliche Dikti-Gebirge. Ein Erlebnis für sich, eröffnet sich doch nach jeder Kurve ein neuer Blick in ein weiteres Tal, einen lauschigen Hain, ein stilles Wäldchen oder einen Pass oder eine Bergkuppe. So erreichen wir schließlich mit vielen neuen, stillen Eindrücken das Meer und damit die minoische Siedlung Gournia. Der Hügel von Gournia wurde in der Frühminoischen Zeit, also um 2700 v. Chr., erstmals besiedelt. Die heute noch sichtbaren Grundmauern stammen vom Ende der Mittelminoischen bis zur Spätminoischen Zeit und sind damit etwa 3.500 Jahre alt.

1901 wurde die Stadt – der antike Name ist unbekannt – von der Amerikanerin Harriet Boyd-Hawes entdeckt und ausgegraben. Als Frau wurde ihr die Teilnahme an archäologischen Grabungen der American School of Classical Studies at Athens verwehrt, obwohl sie einen Bachelor of Arts in Klassische Altertumswissenschaft. Man empfahl ihr doch als Bibliothekarin zu arbeiten. Damit wollte sie sich aber nicht zufrieden geben und investierte das Geld eines Stipendiums lieber in Grabungen. Den Hinweis auf diese Grabungsstelle erhielt sie von George Perakis, einem Bauer und Antiquar aus Vasiliki.

Bereits im Jahr zuvor hatte Harriet Boyd-Hawes auf Anraten von Arthur Evans in Kavousi auf Kreta Häuser und Gräber aus der Geometrischen Zeit entdeckt. Sie beschrieb die Grabungsfunde in ihrer Masterarbeit und erhielt hierfür 1901 den Grad Master of Arts vom Smith College. Damit wurde sie zur ersten Frau, die archäologische Grabungen leitete. Sie war es auch, die in Gouvia auf eine Rekonstruktion verzichtete, wie sie etwa Arthur Evans in Knossos unternommen hat.

Der minoische Name der Siedlung ist unbekannt, deshalb verwendete man den Namen Gournia, wie die einheimischen Bauern den Ort nennen, zur Bezeichnung der Ausgrabungsstätte. Gournia, also zu deutsch Bassin, nennen die Bauern diese Bucht, die nördlich an den Golf von Mirabello angrenzt, weil sie an allen anderen Seiten von Hügeln umgeben ist. Die archäologische Stätte von Gournia liegt auf einem Hügel westlich von Pachia Ammos, in der Nähe der Straße, die Agios Nikolaos mit Ierapetra verbindet, 19 km östlich von Agios Nikolaos.

Die Stadt blühte in der minoischen Zeit und ist die kompletteste ausgegrabene minoische Stadt auf Kreta. Ob des guten Erhaltungszustands der Siedlung und der vermuteten Zerstörung durch eine Katastrophe um 1450 v. Chr. erhielt den Beinamen „das kretische Pompeji“. Für etwa 50 Jahre blieb die Siedlung unbewohnt. Es finden sich noch geringe Spuren anschließender minoischer und mykenischer Besiedlung. Um 1200 v. Chr. wurde Gournia endgültig zerstört und aufgegeben

Wir schlendern auf den gepflasterten Straßen der archäologischen Stätte und versuchen uns vorzustellen, wie das Leben in der kleinen minoische Stadt gewesen sein muss. Die noch vorhandenen Mauern sind gerade einmal schulterhoch. Trotzdem wird es eng in den schmalen, gerade einmal einen Meter breiten und mit Steinen bepflasterten Gassen der Stadt. Vermutlich lagen im Erdgeschoss der Häuser Läden und Werkstätten und im oberen Teil die Wohnungen. Viele der Häuser waren zwei- oder mehrgeschossig, was durch Reste von Außentreppen bestätigt wird. Archäologen fanden verschiedene Werkzeuge, wie Meißel, Haken, Hämmer und Töpfe, die uns helfen, sich den Alltag der Minoer vorzustellen.

Zwei breitere Straßen umschlossen die Stadt wie ein Ring in einem weiten Bogen. Innerhalb dieses Stadtringes liegt das Stadtzentrum, das durch eine Reihe von Gassen relativ gleichmäßig durchschnitten wird. Zwei gepflasterte Hauptgassen durchziehen die Stadt in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung, eine davon führt in Richtung Meer, wo der Hafen gewesen sein könnte. Es ist auffällig, dass es bereits ein Abwassersystem gab. Im Keller eines Hauses ist eine Ziegelmauer und Reste des Putzes erhalten. In einem weiteren Raum ist die Aussparung für ein Fenster sichtbar. Daher wissen wir, dass die Häuser verputzt waren und Fenster hatten.

Die Überreste von Gournia bestehen aus einer Vielzahl verschiedener Gebäude und Gassen, die typisch für eine minoische Stadt sind und Einblick in das Leben der Minoer geben. Die Bewohner betrieben Landwirtschaft, Jagd und Fischerei, sie züchteten Tiere, töpferten und webten, wie Funde belegen. Einige der bemerkenswertesten Merkmale der Stätte sind das zentrale Gerichtsgebäude, ein heiliger Bezirk und der Palast. Die Gebäude sind um eine zentrale Straße herum angeordnet, die den eigentlichen Stadtkern bildet, das Zentrum des öffentlichen Lebens und den gefühlten Lebensmittelpunkt eines jeden Bürgers dieses Stadtstaates.

Über die Funktion des Palastes ist man sich nicht ganz einig. Er verfügte über einen Hof, zahlreiche Lagerräume, einen sogenannten Thronsaal und ein kleines Badezimmer. Auch hier belegen die Reste von Treppen, dass der Palast mehrgeschossig gewesen sein muss. Ob hier je ein König, Fürst oder Stadtherr residiert hat, oder ob es sich um ein Verwaltungszentrum handelt, das praktisch allen Bürgern gehörte, ist unbekannt.

Werfen wir noch einen Blick in den heiligen Bezirk. Bei einer Wegkreuzung gelangt man zu einem aufrechtstehenden Stein, den man für einen Bätyle also einen heiligen Stein hält. In dessen Nähe befindet sich noch ein Steinblock mit einem Doppelaxtsymbol. Am nördlichen Ende des Palastes führt rechts ein Weg zu einem kleinen Heiligtum von etwa drei mal drei Metern. Hier fand man verschiedene tönerne Kultstatuetten, eine Art Weihwasserbecken und weitere Opfergaben, die auf die Verehrung von Göttinnen und Göttern hinweisen. Darüber hinaus sind keine bildlichen Werke dieser Zivilisation überliefert.

Offensichtlich hatten die Minoer keine äußeren Feinde zu fürchten, denn es fehlen jede Art von Verteidigungsanlagen. Man vermutet, dass die Minoer über eine schlagkräftige Marine verfügten, die mögliche Feinde schon auf See abwehren konnte. Der Marktplatz, die sogenannte Agora, liegt im Süden der Stadt auf einem Plateau. Von dort aus hat man einen schönen Blick auf die Bucht. Im Norden der Agora schloss sich der oben bereits beschriebene palastähnlicher Gebäudekomplex an, von dem aber nur noch Grundmauern und Säulenstümpfe übrig sind. Auch eine Art Schautreppe, eine Stoa, ist auch vorhanden.

Nördlich der Stadt fand Harriet Boyd 1904 einen Friedhof, der in den Jahren 1971 und 1972 von dem Archäologen Costis Davaras näher untersucht wurde. Die Gräber datieren hauptsächlich in die Frühminoische, Mittelminoische und Mykenische Zeit. Zum Teil waren die Toten unter Felsvorsprüngen begraben. Es gab aber auch Grabhäuser in deren Mitte man ein Freiluftheiligtum fand.

Vielleicht war es dem Umstand geschuldet, dass wir nur wenige Stunden zuvor Lato besucht hatten, weshalb wir Gournia nicht so viel abgewinnen konnten. In Erinnerung aber werden uns mit Sicherheit die beeindruckenden gepflasterten Hauptgassen und der schöne Blick aufs Meer bleiben. Schwer fassbar, dass über diese Steine vor 3.500 Jahren schon Menschen gelaufen sind und das die Stadt ein funktionierendes Abwassersystem hatte, während man hierzulande noch in Erdlöchern hauste. Zeit sich wieder auf den Weg zu machen. Kostas hat auch schon eine Idee, wo es etwas leckeres zu Essen gibt.

Quellen: Wikipedia, ADAC Reiseführer Kreta, Kreta, die Insel der Mythen im Spiegel antiker Zeugnisse, cretanbeaches.com, kreta-reiseimpressionen.de, travelio.de, meetcrete.com.
Wenn man nur einen kurzen Augenblick Zeitreisen könnte, ich würde hier vorbeischauen und gucken, wie‘s war. 😃
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Wäre bestimmt sehr interessant.
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Gournia für Bassin kommt wohl aus dem Arabischen.
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Womöglich.
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