Die große 9-Euro-Ticket-Tour: Ulm II

Für die nächste Sehenswürdigkeit von Ulm muss ich die Altstadt einmal queeren. Die Mühe lohnt sich, erwartet mich doch ein absolutes Unikum, wie es wohl kein zweites gibt. Die Rede ist von den Grabenhäusle. Einmalig in Deutschland sind die am Neuen Graben, am Frauengraben und am Seelengraben erhaltenen Teile der mittelalterlichen Stadtmauer von Ulm. Von 1610 bis 1805/1810 wohnten die Soldaten direkt auf der Mauerkrone dieses Befestigungswerkes. Aus den Unterkünften entstanden kleine Reihenhäuschen, von denen aus man in den Stadtgraben schauen konnte, die heute noch bewohnt sind und als Grabenhäusle bezeichnet werden.

Ursprünglich wurden sie als einfache Unterkünfte für die Ulmer Stadtsoldaten als Truppenquartiere genutzt. Ehemalige Garnisöner und Witwen der Militärs stellten den größten Käuferkreis, als die Kleinhäuser nach dem Ende der Reichsstadtzeit privatisiert wurden. Noch bis in jüngere Zeit galt das Wohnen dort als unterster Standard. Längst aber sind die ersten kommunalen Wohnungsbauten Ulms saniert und überdies beliebtes Fotomotiv.

In der Mitte der Mauerkrone verläuft ein kleiner Weg, während gegenüber der Häuschen schmale Gärten mit Sitzecken und Schuppen angelegt wurden. Hier kann jeder dem anderen in die Kaffeetasse schauen, während man sich als Tourist ein bisschen fremd fühlt. Aber an neugierige Zaungäste haben sich die Bewohner gewöhnt.

Dass die Mauer so breit ist, liegt an der nach dem Mittelalter erfolgten Verstärkung der Befestigung gegen Kanonenbeschuss. Der neben dem Zundeltor stehende Seelturm wurde hierbei in die Verstärkung integriert. Im 19. Jahrhundert wurde diese Mauer als Befestigung überflüssig, weil ab 1842 weit vor den damaligen Toren der Stadt mit der Bundesfestung Ulm eine bedeutende Erweiterung und die heute größte Festungsanlage Europas entstand.

Jetzt wartet noch ein Highlight auf mich, ohne das ein Besuch in Ulm unvollständig wäre: das Ulmer Münster. Das Münster Unserer Lieben Frau in Ulm  ist eine im gotischen Baustil errichtete Stadtkirche. Sie ist die Pfarrkirche der Evangelischen Münstergemeinde. Der Grundstein wurde 1377 gelegt, als Ulm eine Reichsstadt und noch vorreformatorisch römisch-katholisch war. 1530 entschieden sich die Bürger zum evangelischen Glauben zu wechseln, die Kirche wurde evangelisch.

Das Ulmer Münster ist der größte evangelische Kirchenbau Deutschlands. Der 1890 vollendete 161,53 Meter hohe Turm ist der höchste Kirchturm der Welt. Das Münster überstand die Luftangriffe auf die Stadt 1944/1945 in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, vom Einschlag eines Sprengbomben-Blindgängers in den Chorraum abgesehen, weitgehend unbeschädigt. Ein Segen, denn so blieb das Gotteshaus in seiner ursprünglichen Form bis heute erhalten.

Direkt gegenüber am Münsterplatz lag die bekannteste Konditorei Ulms. Ich muss leider sagen „lag“, weil ich erfahren musste, dass diese Institution mittlerweile Geschichte ist. Das Café Tröglen ist seit zwei Jahrhunderten ein Torten- und Kuchenparadies in Ulm. Das Café versüßte seit exakt 211 Jahren Ulm und die Gaumen seiner Gäste. Hier konnte man einen Kaffee oder Tee, einen Kuchen oder eine Torte aus der Konditorei am Tischchen im ersten Stock mit Blick auf das Ulmer Münster genießen.

Am 10. Dezember hatte das traditionsreiche Kaffee am Münsterplatz zum letzten Mal geöffnet. Dann hieß es Abschied nehmen von himmlischen Sahnetorten und Apfel-Eierrahmkuchen. Nicht das erste Traditionscafé, dass in Ulm schließen musste. Die Cafés Ströbele, Bonnet, Gindele, Drei-Königs-Café – sie alle gibt es nicht mehr. Nun hatte der langjährige Pächter des Café Tröglen Alexander Kraus, ein Konditor und Cafébetreiber aus Kaufbeuren, nach „25 Jahren Erfolgsstory“ den Pachtvertrag in Ulm gekündigt. Gründe waren die Pandemie und steigende Kosten. Nun wolle er sich auf seine zwei Kaffeehäuser sowie die Konditorei in Kaufbeuren konzentrieren.

Ich kam also noch in den Genus der himmlischen Torte – und den unvergleichlichen Blick auf das Münster. Ein schöner und würdiger Abschluss meiner 9-Euro-Tour-Reihe. Von hier geht es noch schnell zum Bahnhof und mit der Regionalbahn zurück nach München. Eine Ära geht zu Ende. Nicht nur die des Cafés Tröglen, sondern auch die des 9-Euro-Tickets. Aber wer weiß, vielleicht geht es ja mit dem 49-Euro-Ticket bald weiter?

Quellen: sowasvonulm.de, quermania.de, Tourismus Ulm, Südwest Presse, ulm-news, Schwäbische, Wikipedia.

14 Gedanken zu “Die große 9-Euro-Ticket-Tour: Ulm II

  1. Mit den Ulm Beiträgen hast du mir diese Stadt mehr als schmackhaft gemacht. Wenn ich mal wieder im Süden bin, steht sie mit auf der Liste.
    Dein 9€ Ticket T-Shirt ist ja witzig.

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