Bauherr in Pythagório zu sein ist mit Sicherheit eine fast unlösbare Aufgabe. Egal wo man gräbt, man stößt fasst immer auf antike Fundamente. Die Liste der Besitzer der Insel Samos ist lang: Attiker, Athener, Spartaner und Makedonen, Perser, Kleruchen, Ptolemäer und Ägypter, schließlich Römer, Byzantiner und schließlich Osmanen. In der Neuzeit gaben sich Genueser, Venezianer, Türken, Griechen, Russen und am Ende wieder Italiener die Klinke in die Hand, bis sie im September 1943 von Briten besetzt wurde.

Nach der relativ kurzen Zeit unter russischer Oberhoheit Ende des 18. Jahrhunderts wurde Samos wieder Teil des Osmanischen Reichs, befreite sich zwar während des griechischen Freiheitskampfes 1821 bis 1829 von der Fremdherrschaft, wurde aber als Ergebnis des Londoner Protokolls wieder zurückgegeben. Allerdings erhielt die Insel als „Fürstentum Samos“ für fast ein Jahrhundert weitreichende Freiheiten. In den Wirren des Italienisch-Türkischen Krieges und kurzer italienischer Herrschaft fand das Fürstentum sein Ende, nach dem anschließenden Balkankrieg fand sich Samos im Königreich Griechenland wieder, nachdem man dort zwischenzeitlich über eine völlige Unabhängigkeit spekuliert hatte.

Doch zurück zur Antike. Der begegnet man nämlich in Pythagório auf Schritt und Tritt. Schließlich lag hier die Stadt Samos, die ihre Blütezeit bereits im sechsten vorchristlichen Jahrhundert unter dem Tyrannen Polykrates hatte, Und der entwickelte eine rege Bautätigkeit, deren Spuren noch heute zu sehen sind. Und das beginnt schon, wenn man von Richtung Flughafen in den Ort kommt. Schon türmen sich rechts und links der Straße die ersten historischen Überreste auf. ein Teil der Stadtmauer, die Thermen, ein Friedhof, die Grundmauern von Agora und einer byzantinischen Basilika – alles neben- und übereinander.

Folgt man der lykourgo logotheti weiter in den Ort hinein, sieht man nach der Grundschule rechter Hand einen Parkplatz. Hier stelle ich meinen Roller erst einmal ab und mache mich zu Fuß auf die Erkundung der Stadt. Und schon hier am Parkplatz findet man Mauern und Fragmente aus der antiken Vergangenheit. Hier stand einst das antike Sportgelände mit Gymnasion, einer Laufhalle mit Sälen für Ring- und Faustkämpfe. Darüber erhebt sich ein Festungswall wohl schon aus dem 18. Jahrhundert. Wer und wann genau er errichtet wurde, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ein schönes Fotomotiv ist es trotzdem.

Folgt man dem Pfad weiter, der uns schon zu den Überresten dieser Bastion geführt hat, dann jagt ein Highlight das nächste. Die Einheimischen nennen diesen Hügel Kástro. Hier soll einst der legendäre Palast des Polykrates gestanden haben. Später stand hier unter anderem eine byzantinische Burg. Auch die Osmanen dürften auf diesem strategisch wichtigen Punkt oberhalb des Hafens eine Festung gehabt haben. Der griechische Freiheitskämpfer Lykourgos Logothetis errichtete 1821 hier in aller Eile eine Festung und bediente sich dabei reichlich am bereits vorhandenen Baumaterial. Der kürzlich mit EU-Geldern restaurierte Turm dürfte seine Ursprünge aber bereits in byzantinischer Zeit haben.

Der italienische Kartograph Christoforo Buondelmonti, der Samos im 15. Jahrhundert bereiste, schreibt über diesen Bereich im heutigen Pythagorio: „… im Süden sah ich eine grandiose Stadt in einem Tal am Meer, wo es eine Vielzahl von Ruinen und Spalten aller Art zu sehen gab.“ Und der türkische Geograph Piri Reis berichtet im 16. Jahrhundert: „… in der Nähe der Küste gibt es eine Burgruine … innerhalb dieser Burg gibt es noch eine Befestigung, die von Sultan Muhammed Han Gazi (er meinte wohl Mehmed II. Fatih, Regierungszeit 1451 – 1481) errichtet wurde. Die Innenwände sind fast nicht mehr existent.“

Neben dem Festungsturm steht heute die Metamorfosis-Kirche. Das größte Gotteshaus von Pythagório ist Christi Verklärung geweiht. Das ist kein Zufall: am 6. August – dem Tag Christi Verklärung – 1824 gelang dem bereits erwähnten Lykourgos Logothetis ein wundersamer Sieg gegen eine osmanische Übermacht. Man schrieb diesen Sieg dem aktiven Wirken Christi zu und widmete die Kirche deshalb dem Tag, an denen er dreien seiner Jünger erstmals auf dem Berg Tabor in göttlichem Licht erschien. Der Sieger selbst wurde mit einer Büste vor der Kirche geehrt.

Neben Kirche und Friedhof liegt eine weitere Ausgrabungsstelle mit den Grundmauern aus verschiedenen Zeiten, darunter die einer frühchristlichen Basilika. An Orten wie diesen begegnen sich die verschiedenen Epochen und verschmelzen miteinander. Und diese Verschmelzung setzt sich im Ort fort, wo man an manchen Häusern und Mauern sehen kann, wie Neues auf Altem aufgebaut wurde. Eine genauere Unterscheidung ist hier kaum noch möglich, oder gar nicht mehr. Morgen schauen wir uns den Ort genauer an.

Doch vorher hole ich erst einmal meinen Roller vom Parkplatz. Über den Festungsruinen am Parkplatz weht heute stolz die griechische Flagge. Hoffentlich bleibt das auch so! Die Geschichte lehrt, dass das nicht selbstverständlich ist.

Quellen: Wikipedia, insel-samos.net, „Samos“ Dumont direkt.