1972, was war das für ein Jahr – auch architektonisch. Während in New York auf der „Ersten internationalen Wolkenkratzer-Konferenz“ über das Für und Wider von Hochbauten diskutiert wurde, eröffnete das „Egon Eiermanns Hochhaus“ für die Olivetti Hauptverwaltung in Frankfurt am Main. In München fanden Olympische Sommerspiele statt. Spielstätten, Olympisches Dorf und andere Bauten präsentierten sich als städtebauliches Gesamtkunstwerk.
Ähnlich im Baden-Würtembergischen Badenweiler. „Heute ist Badenweiler auch für Architekten eine Reise wert“, urteilte 1972 die Zeitschrift Bauwelt, als damals das neue Kurhaus in Badenweiler eröffnet wurde. Auf den heutigen Webseiten von Gemeinde und Fremdenverkehr ist vom bemerkenswerten, imposanten oder preisgekrönten Kurhaus die Rede. Tatsächlich fügt sich der eher breite als hohe Betonbau genauso harmonisch in das Gesamtbild ein, wie der Kaufhof am Münchner Marienplatz – heute allgemein als Bausünde betrachtet. „Wie ein Baumpilz“, sitzt das Gebäude am Fuß des Bergs und „war nicht mehr zu verdrängen.“ So der Kommentar seines Schöpfers Klaus Humpert.

So duckt sich der Betonpilz unter der Burgruine und wuchert in den Kurpark hinein. Auf der Gemeindewebseite ließt sich das so: „Während es in der Anfangszeit als Begegnungsstätte und Trinkhalle diente, ist das bemerkenswerte Kurhaus unterhalb der Burgruine heutzutage der ideale Ort für Konzerte, Aufführungen und diverse andere Veranstaltungen.“ Inzwischen ist das Kurhaus in die Jahre gekommen. Bereits vor Jahren wurde kritisiert, dass das Gebäude kaum noch den gestiegenen Anforderungen an einen Veranstaltungsort genügt. In das Gesamtensemble von Ortszentrum, Kurpark und den historischen Bauten wie Burg, römischer Therme, Großherzogliches Palais und Grandhotel aus der Gründerzeit, will sich der sperrige Betonriegel bis heute nicht einfügen.
Das Schicksal der Behausung teilt leider auch das Kurhauscafè in seinem Inneren. Der Kuchem dort ist gut und preiswert – schließlich muss man sich hier dem Wettbewerb stellen! – der Kaffee ebenfalls nicht zu verachten und vom Preis her geradezu billig, doch das Café selber versprüht den Charme einer Bahnhofswartehalle, ein Eindruck, der durch den eingegliederten Schalter der Touristeninformation nur verstärkt wird. Und wer sich draußen auf die – zugegebener Maßen sonnige – Terrasse setzt, der könnte das ebenso gut in München-Perlach oder Berlin-Marzahn tun. Die Atmosphäre wäre vergleichbar. Doch gerade durch die bestehende und alteingesessene Konkurrenz kann dieses Konzept leider nicht überzeugen. Ein historischer Kurort wie Badenweiler hätte hier Besseres verdient.

Kurhauscafé, Schlossplatz 2, Badenweiler, Öffnungszeiten: Mittwoch – Sonntag 11:00 – 18:00 Uhr. Zitierte Webseiten: badenweiler.de, markgraefler-land.de, db-bauzeitung.de.
Zum Besuchen und in der Nähe: Café Grether, Café Gerwig.